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Stiftung Wissenschaft und Politik
Updated: 1 week 1 day ago

Russland in der Arktis

Thu, 28/10/2021 - 02:00

Russland will ein hohes Maß selbstbestimmter Stabilität in der Arktis erhalten. Das hält Moskau für nötig, um die vielen Probleme und Entwicklungshindernisse zu überwinden, die mit den eigenen ambitionierten Plänen, aber auch mit den Folgen des Klimawandels verbunden sind. Der Rückgang des Meereises hat einen subjektiv empfundenen Verlust an Sicherheit zur Folge, der die traditionelle Belagerungsmentalität verstärkt. Zudem ist die russische Außenpolitik auch in der Arktis von einem reflex­artigen Primat der Sicherheitspolitik gekennzeichnet. Moskau versucht, die nationale Sicherheit inklusive wirtschaftlicher Inter­essen mit einem breiten Spektrum rüstungs- und militärpolitischer Akti­vitäten zu gewährleisten, das neue nukleare Einsatzmittel einschließt. Dieses Bestreben werten die anderen Arktisanrainer und die Nato zuneh­mend als bedrohlich. Russland nimmt eine defensive Haltung in der Arktis ein, ist im Konfliktfall aber auf eine rasche Eskalation vorbereitet. Arktispolitik ist ein Mittel der russischen Strategie für Europa, um wirt­schaftlich und politisch Einfluss zu nehmen. Dabei wird das Zusammenwirken von Nord- und Ostseeflotte immer wichtiger, wenn es darum geht, geostrategische Interessen zu wahren und das Hoheitsgebiet zu verteidigen. Die arktischen Staaten müssen eine schwierige Balance halten: Sie wollen die Seewege und Ressourcen sichern, zugleich aber eine Eskalations­spirale in der Region verhindern. Um die Folgen des Sicherheitsdilemmas zu begrenzen, sollte der Dialog über militärische Sicherheit reaktiviert werden. Zudem gibt es weiterhin Kooperationsmöglichkeiten. Beispiele sind Klima- und Umweltprojekte, nachhaltige und umweltverträgliche Energienutzung, Infrastruktur, maritime Sicherheit und Wissenschafts­zusammenarbeit.

Turkey and Russia

Thu, 28/10/2021 - 02:00

Relations between Turkey and Russia are a puzzle to many in the West. How sustainable is the relationship? What is it grounded on? And what can the West learn from it? Central to the relationship is its bilateral nature. Relations between Ankara and Moscow are based on the mutual recognition of security interests. The resulting dynamics have shaped Turkish-Russian cooperation since the 1990s and can be observed in the current partnership in Syria. Mutual regard for the other’s security concerns is facilitated by the prospect of collaborative projects that promise greater advantages than continued conflict. Trust is of secondary importance, as is the quality of personal relations between the Turkish and Russian presidents. More important is the interdependence between Russia and Turkey. The potential for confrontation or cooperation between Ankara and Moscow in regional conflicts depends on current priorities rather than past rivalries. The form and extent of their collaboration are determined not by which side of the conflict they are on, but by their respective motives.

Germany’s New Government and Its Foreign Policy on Turkey: Lines of Conflict and Areas of Cooperation

Mon, 25/10/2021 - 02:00

In stark contrast to Germany’s Bundestag elections in 2017, Turkey has hardly been mentioned in this year’s election campaign. Nevertheless, today’s relatively relaxed atmosphere between Berlin and Ankara and the lack of prominence ascribed to their relationship in the German election campaign do not mean that shaping future foreign policy on Turkey will be an easy undertaking. Ankara is making a number of demands on the European Union (EU). Cooperation on refugee matters and efforts to deepen the customs union with the EU are to continue. The Turkish government also wants to be involved in European consultations. It is now up to Germany’s new federal government to make its position known on these matters. However, Turkey is no easy partner to deal with and in order to achieve rules-based cooperation, Berlin and Brussels must, for their part, formulate clear conditions, for example, when it comes to cooperation on migration and defence. They also need to decide how to shape Turkey’s future relationship with Europe.

Diplomatie und Künstliche Intelligenz

Thu, 21/10/2021 - 02:00

Künstliche Intelligenz (KI) birgt das Versprechen, große Datenmengen schneller und zuverlässiger zu analysieren, als Menschen dies können. Ist es also auch möglich, mit KI-Systemen die für diplomatische Verhandlungen relevanten Informationen so auszuwerten, dass dadurch ein signifikanter strategischer Mehrwert entsteht? Wir gehen dieser Frage zunächst anhand von zwei explorativen Fallstudien nach. Die erste dreht sich um die Verhandlungen für eine deutsch-österreichische Zollunion in den Jahren 1930/31. Hier zeigen wir, wie KI-Systeme genutzt werden könnten, um für Zwecke der Strategiebildung automatisiert ein Spektrum möglicher Szenarien zu entwickeln. In der zweiten Fallstudie geht es um die Verhandlungen um die sogenannte Cybercrime-Resolution im Rahmen der Vereinten Nationen (VN). In Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt wurde für die Studie untersucht, ob und in welcher Form KI-Systeme geeignet sind, das Verhalten von Staaten in der VN-Generalversammlung zu prognostizieren. Ausgehend von den beiden Fallstudien nehmen wir in einer systematischen Zusammenschau weitere Möglichkeiten in den Blick, KI als Instrument für die Diplomatie zu nutzen, zum Beispiel beim automatisierten Monitoring öffentlicher Medien rund um einen Verhandlungsprozess. KI ist heute noch oft fehleranfällig und wird absehbar nicht die Urteilskraft erfahrener Diplomaten ersetzen können. Als unterstützendes Instrument jedoch hat KI das Potenzial, einen möglicherweise unverzichtbaren Beitrag zur Vorbereitung und Durchführung diplomatischer Verhandlungen zu leisten. Die deutsche Außenpolitik sollte die Voraussetzungen dafür schaffen, die Einsatzmöglichkeiten von KI und anderen Methoden der Datenanalyse für die Zwecke der Verhandlungsdiplomatie weiter zu explorieren; außer­dem sollte sie eine »außenpolitische Datenstrategie« entwickeln und nor­mative Leitlinien für die Nutzung von KI im Kontext der Diplomatie einziehen.

On Words and Votes in Venezuela

Thu, 21/10/2021 - 02:00

Regional and local elections are to be held in Venezuela on 21 November. After sev­eral years of election boycotts opposition forces are taking part in the elections again. In addition, since August this year they have participated in a dialogue with envoys of President Nicolás Maduro in Mexico. While many Venezuelans are struggling to merely survive, the two conflict parties are seeking to extend their room for manoeu­vre. The international community should support the dialogue and election process and dose pressure on and incentives for the Maduro regime giving priority to the needs of society.

UN-General Assembly of “Hope”

Wed, 20/10/2021 - 02:00

Even though the 76th United Nations General Debate had to take place in a hybrid format yet again due to the pandemic, the overall mood was more positive than last year. Not only was the hall in New York busier, but the tone of the debate was also more cooperative, not least because U.S. President Joe Biden promised a new era of diplomacy. UN Secretary-General António Guterres presented his report “Our Com­mon Agenda” and advocated for ambitious UN reforms. This all aligns with the theme of this year’s general debate: “Building Resilience through Hope”. In parallel to the debate, a large number of meetings took place, which, moving beyond words, aimed at action. While momentum and enthusiasm peaked in the beginning of the week, the follow through, in terms of action, was unconvincing, as demonstrated by the so‑called “SDG Moment”.

Russlands Dumawahl 2021

Thu, 14/10/2021 - 02:00

Die russische Führung hat bei der Dumawahl vom 17. bis 19. September 2021 ihre selbst­gesteckten Ziele erreicht: Die Partei Einiges Russland verfügt weiterhin über eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament, obwohl sie in der Bevölkerung wenig Unterstützung genießt. Von der erstarkten Kommunistischen Partei der Russi­schen Föderation (KPRF) und der neu ins Parlament eingezogenen Partei Nowyje Ljudi (Neue Menschen) geht keine Bedrohung für die russische Führung aus. Damit bleibt die Duma auch in den kommenden fünf Jahren ein willfähriges Instrument des Kremls. Allerdings waren umfangreiche Wahlfälschungen notwendig, um dieses Ergebnis zu erzielen. Politische Konkurrenz und Wahlbeobachtung wurden mit alt­bekannten, aber auch mit neuen Methoden beschnitten. Besonders das elektronische Wählen macht die Wahlergebnisse leichter steuerbar und dürfte den Charakter von Wahlen in Russland nachhaltig verändern. Die voranschreitende inhaltliche Ent­wertung der Urnengänge könnte langfristig aber auch Risiken für den Kreml erzeugen, da er damit ein wichtiges politisches Frühwarnsystem verliert.

Attribution als Herausforderung für EU-Cybersanktionen

Wed, 13/10/2021 - 02:00

Die Attribution von Cyberangriffen ist ein souveräner Akt der EU-Mit­gliedstaaten. Diese haben jedoch unterschiedliche technische und geheim­dienstliche Fähigkeiten. Das führt zu Inkohärenzen in der europäischen Cyberdiplomatie, etwa bei der Verhängung von Cybersanktionen. Die Analyse der politischen Reaktionen auf die Cybervorfälle WannaCry, Not‑Petya, Cloud Hopper, OVCW und Bundestag-Hack offenbart folgende Probleme: Die Attribution dauert lange und ist auf Erkenntnisse von Nato-Partnern angewiesen; die technischen Realitäten und die rechtlichen Tatbestandsmerkmale zur Klassifikation und Verfolgung von Cyber­angriffen passen nicht immer zusammen; die Gewichtung der Tatbestands­merkmale ist unklar. Cybersanktionen sollen gezielte Maßnahmen und vor allem in ihrer Intensität verhältnismäßig sein: Destruktive Angriffe wie WannaCry oder NotPetya sollten härtere Konsequenzen nach sich ziehen als alltägliche Fälle von Cyberspionage wie Cloud Hopper oder Bundestag-Hack. Hier muss die EU ihre Werkzeuge genauer konfigurieren. Die EU sollte die rechtlichen Tatbestandsmerkmale schärfen und Beweis­standards zur Attribution vereinheitlichen. Die Gemeinsame Cyber-Stelle der EU und EU INTCEN im Europäischen Auswärtigen Dienst sollten ge­stärkt werden, um den Austausch forensischer Informationen zu verbessern und die Politik der Attribution effektiver koordinieren zu können. Die EU-Mitgliedstaaten und ihre alliierten Partner müssen Angreifer häu­figer gemeinsam verurteilen, damit die davon ausgehende politische Bot­schaft wirklich deutlich wird. Dazu wäre es sinnvoll, für den Erlass von Cybersanktionen qualifizierte Mehrheitsentscheidungen zuzulassen.

Von Worten und Stimmen in Venezuela

Tue, 12/10/2021 - 02:00

Am 21. November finden in Venezuela Regional- und Kommunalwahlen statt. Nach einer mehrjährigen Phase des Wahlboykotts werden daran auch wieder die Opposi­tionskräfte teilnehmen. Sie beteiligen sich zudem seit August dieses Jahres an einem Dialog mit Entsandten von Präsident Nicolás Maduro in Mexiko. Während in der venezolanischen Bevölkerung viele um das nackte Überleben kämpfen, suchen beide Konfliktparteien ihren Handlungsspielraum zu erweitern. Die internationale Gemein­schaft sollte den Dialog- und Wahlprozess unterstützen. Druck und Anreize gegenüber dem Maduro-Regime gilt es dabei so zu dosieren, dass die Bedürfnisse der Gesell­schaft im Vordergrund stehen.

Die Türkeipolitik der künftigen Bundesregierung: Konfliktlinien und Kooperationsfelder

Fri, 08/10/2021 - 13:00

Verglichen mit der letzten Wahl zum Bundestag 2017 hat die Türkei im diesjährigen Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt. Doch die zurzeit relativ entspannte Atmosphäre zwischen Berlin und Ankara und die damit zusammenhängende geringe Pro­minenz der Türkei im deutschen Wahlkampf bedeuten nicht, dass die Gestaltung der zukünf­ti­gen Türkeipolitik ein leichtes Unterfangen wäre. Ankara stellt eine ganze Reihe von Forderungen an die Europäische Union (EU). Die Zusammenarbeit in der Flücht­lings­frage soll fortgesetzt und die Zollunion mit der EU vertieft werden. Die türkische Regie­rung will außerdem in europäische Konsultationen einbezogen werden. Hier muss sich die neue Bundesregierung positionieren. Doch die Türkei ist kein leichter Part­ner, und um zu einer regelbasierten Kooperation zu kommen, müssen Berlin und Brüssel ihrerseits klare Bedingungen formulieren, zum Beispiel für die Migrations- und die Rüstungszusammenarbeit. Zudem müssen sie entscheiden, wie das künftige Verhältnis der Türkei zu Europa gestaltet werden soll.

Das Ende inklusiver Sicherheitspolitik im Indopazifik

Fri, 08/10/2021 - 08:19

Ob wachsende Spannungen zwischen China und Taiwan oder die Aukus-Allianz zwischen den USA, Australien und Großbritannien — die Sicherheitsarchitektur im Indopazifik ändert sich gerade fundamental. Das zwingt auch Deutschland, seine Politik zu überdenken. Bislang vermeidet es eine deutliche sicherheitspolitische Positionierung gegenüber China. Dieser inklusive Ansatz scheint aber immer weniger realistisch. Dem geplanten Besuch der Fregatte »Bayern«, die Anfang August in See gestochen ist und sich gerade im Indopazifik befindet, hat Peking eine Absage erteilt. Die Präsenz europäischer Einheiten werde als Bedrohung betrachtet, so die Begründung. Es fehle die Basis für gegenseitiges Vertrauen, also genau das, was Deutschland mit dem Besuch herstellen wollte. Die deutsche Politik muss nun entscheiden, wie sie sich gegenüber China positionieren will.

Deutschlands Rolle im Indopazifik

Deutschland erkennt seine eigene Rolle als globaler Wirtschaftsakteur, aber auch – zumindest im europäischen Raum – als eine der größeren politischen Mächte an. Aus diesem Grund sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, auch im Indopazifik zur Stabilität und Sicherheit beizutragen. Ihre im August 2020 veröffentlichten Leitlinien für den Indopazifik sehen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik einen inklusiven Ansatz vor, der sich nicht nur an die Partner in der Region richtet, sondern an alle Akteure. Auch China soll in einen Dialog und die Gestaltung einer umfassenden Sicherheitsarchitektur einbezogen werden.

In diesem Sinne ist die für sieben Monate geplante Mission der Fregatte »Bayern« vor allem ein politisches Zeichen. Sie soll beweisen, dass Deutschland entsprechend seiner Wirtschaftskraft und seines politischen Einflusses mehr Verantwortung übernimmt und mit den Akteuren in der Region kooperieren will. Abgesehen von der Teilnahme an den Sanktionen der Vereinten Nationen gegen Nordkorea hat die Entsendung des deutschen Kriegsschiffes kein tieferes operatives militärisches Ziel. Die »Bayern« hat sich zwar kurzfristig an der EU-Operation Atalanta am Horn von Afrika beteiligt und wird in den kommenden Monaten verschiedene kleinere Übungen mit Marineeinheiten der Gaststaaten durchführen. Der Grund für die Präsenz- und Ausbildungsfahrt ist jedoch strategisch-funktionaler Natur.

Chinas Ablehnung eines offiziellen Hafenbesuchs in Shanghai ist daher ein Rückschlag für den inklusiven deutschen Ansatz. Denn damit wurden einerseits Dialogmöglichkeiten gestrichen. Andererseits wird sich die »Bayern« nun verstärkt mit den Partnern in der Region engagieren. Statt Shanghai steht nun ein weiterer Hafenbesuch in Australien auf der Agenda. Sollten deutsche Streitkräfte in Zukunft erneut Präsenz-und Ausbildungsfahrten im Indopazifik unternehmen, würde sich Deutschland aufgrund der diesjährigen Erfahrungen gegenüber China wohl kritischer als bisher positionieren und enger mit seinen Verbündeten und Partnern zusammenzuarbeiten. Der inklusive sicherheitspolitische Ansatz ist letztlich an der Realität gescheitert, in der sich die Fronten zwischen China und den USA sowie vielen Anrainern zunehmend verhärten.

Deutschland im internationalen Spannungsfeld

Deutschland muss sich daher auch unabhängig von der »Bayern« entscheiden, ob es seine Sicherheitspolitik in einem transatlantischen oder europäischen Ansatz fortsetzen will. Und selbst dann wird ein inklusives Herangehen nur schwer zu bewerkstelligen sein. Der Abzug aus Afghanistan hat gezeigt, wie sehr sich die US-Politik auf den Indopazifik konzentriert und andere Themen diesem unterordnet. Den Europäern hat die Evakuierungsoperation nach der Machtübernahme der Taliban ihre geringe Handlungsfähigkeit und Abhängigkeit von den USA vor Augen geführt. Die Gründung von Aukus verdeutlicht nun, dass die Amerikaner im indopazifischen Systemwettstreit keine Rolle für ihre kontinentaleuropäischen und EU-orientierten Alliierten sehen. Die Nato als transatlantische Sicherheitsgemeinschaft wird sich im Indopazifik auf Dialoge und diplomatische Zusammenarbeit beschränken. Eine aktivere Beteiligung mit militärischen Einheiten scheint von Seiten der USA nicht erwünscht zu sein. Eine härtere Linie gegenüber China wollen die USA mit der Mitte September gegründeten Aukus-Allianz vertreten. Das unterstreicht die Entscheidung Australiens, nuklear angetriebene U-Boote von den USA zu beschaffen. Dafür werden die seit 2016 bestehenden Verträge mit Frankreich über konventionell angetriebene U-Boote aufgelöst.

Die ebenfalls Mitte September veröffentlichte EU-Strategie für die Zusammenarbeit im Indopazifik erhebt den Anspruch, in der Region eine eigene Rolle neben den USA zu spielen. Innenpolitisch wäre es für Berlin einfacher, eine größere deutsche Rolle im Indopazifik zu vermitteln, wenn diese in einen europäischen Rahmen eingebettet ist. Deutsche Streitkräfte würden dort absehbar nur sporadisch präsent sein. Ihre Rolle wäre dann vor allem ein politisches Signal, um in enger Abstimmung mit Frankreich die EU-Strategie zu unterstützen, unabhängig von der Sicherheitsallianz Aukus, auch wenn sich diese noch weiterentwickeln wird.

UN-Generalversammlung der »Hoffnung«

Thu, 07/10/2021 - 02:00

Obwohl auch die 76. Generaldebatte der Vereinten Nationen Pandemie-bedingt erneut in einem hybriden Format stattfinden musste, war die Stimmung deutlich positiver als im Vorjahr. Nicht nur war der Saal in New York besser gefüllt, auch der Ton der Debatte war kooperativer, nicht zuletzt weil US-Präsident Biden auf Diplomatie zu setzen versprach. UN-Generalsekretär António Guterres legte seinen Bericht »Our Common Agenda« vor und warb für ambitionierte UN-Reformen. All dies passt zum Thema der diesjährigen Generaldebatte: »Stärkung der Widerstandsfähigkeit durch Hoffnung« (»Building resilience through hope«). Parallel zur Debatte fand eine Viel­zahl von Treffen statt, die jenseits von Worten auch auf Taten zielten. Hier ist die Bilanz jedoch nicht überzeugend, wie ein Blick auf den sogenannten »SDG-Moment« zeigt.

Der veränderte Kontext für Reformen in der Ukraine

Wed, 06/10/2021 - 03:00

Nach knapp zweieinhalb Jahren, in denen Wolodymyr Selenskyj als Präsident der Ukraine amtiert, scheinen Reformen in Schlüsselbereichen zu stocken. Gleichzeitig setzen er und sein Team im innen- wie außenpolitischen Diskurs mehr denn je auf Sicherheitsthemen. Für Deutschland und die EU könnte es in dieser Situation sinn­voll sein, Reformprozesse und Sicherheitsfragen stärker als bislang miteinander zu verknüpfen und klarer zu machen, welche Bedeutung der Ukraine im europäischen Sicherheitsgefüge zukommen soll. Nur wenn darüber Klarheit herrscht, vermögen sie konsequent zu entscheiden, welche Reformen sie auch in Zukunft gezielt unterstützen oder gar zur Bedingung finanzieller Hilfen machen wollen. Die ukrainische Seite wie­derum könnte im Wissen darum bewusster über ihre Reformprioritäten entscheiden.

Making Sense of Turkey’s Cautious Reaction to Power Shifts in Tunisia

Wed, 06/10/2021 - 02:00

Ankara adopted notably toned-down language towards Tunisian President Kaïs Saïed’s power grab and avoided calling it a coup, although it considers the course of events as a potential threat that could endanger its policies towards North Africa. In fact, Turkey revised its approach to Tunisia after secular parties became more prominent in Tunisian politics following the 2014 elections. This policy adjustment consists of developing a balanced network of relations by reaching out to secular parties on the one hand, but retaining close ties with the Islamist Ennahda party on the other hand. To this end, Ankara is giving weight to defence diplomacy and soft power. This tactful approach is in line with Turkey’s efforts to strengthen its geo­strategic and geo-economic ties with the Maghreb countries and overlaps with on­going normalisation efforts between Ankara and Arab capitals. But this approach is limited to a pragmatic policy adjustment. Germany and other European states should see this as an opportunity to encourage regional de-escalation and contribute to a constructive regional dialogue.

Indien als ambivalenter Partner in der Digitalpolitik

Wed, 06/10/2021 - 02:00

Die Zusammenarbeit in der Digitalpolitik gilt als eines der aussichtsreichsten Felder der strategischen Partnerschaft zwischen Indien und der Europäischen Union (EU). In der Umsetzung zeigen sich jedoch tiefgreifende Differenzen, etwa im Hinblick auf Datenschutz, Kompetenzen der Sicherheitsbehörden und die künftige globale digitale Ordnung. Ähnliche Probleme werden in den Verhandlungen der EU mit den USA zu Fragen des digitalen Handels bearbeitet. Mögliche Kompromisse dort könn­ten auch Bestandteile einer Verständigung mit Indien bilden.

Politische Krise ohne Ende? Konsequenzen für die EU-Georgien-Beziehungen

Fri, 01/10/2021 - 14:53

Noch im Frühjahr hofften viele, dass mit den Kommunalwahlen am 2. Oktober Georgiens Politik endlich konstruktiveres Fahrwasser erreichen würde. Nach den umstrittenen Parlamentswahlen vom Herbst 2020 und dem darauffolgenden Boykott durch die Oppositionsparteien sollte ein durch EU-Ratspräsident Charles Michel vermitteltes Abkommen den Weg aus der monatelangen politischen Krise weisen. Doch vieles deutet darauf hin, dass die Spannungen zwischen Regierung und Opposition auch nach der Wahl bestehen bleiben.

Die auch als »Charles-Michel-Abkommen« bekannte Vereinbarung vom 19. April 2021 sieht richtungsweisende Reformen vor, unter anderem in den zentralen Bereichen Wahlgesetzgebung und Justiz. Eine weitere Klausel bezieht sich konkret auf die Kommunalwahlen: Die Regierungspartei »Georgischer Traum« konzediert darin mit Blick auf die innenpolitische Stabilität vorgezogene Parlamentswahlen, sollte sie weniger als 43 Prozent aller Stimmen erzielen. Ein Ende der politischen Krise, wie Charles Michel sie bei der Unterzeichnung ausrief, bedeutete das Abkommen indes nicht, war es doch von Beginn an mit Unwägbarkeiten behaftet.

Brüssel zeigt sich irritiert

Die größte Oppositionspartei »Vereinte Nationale Bewegung« (VNB) verweigerte ihre Unterschrift und verlängerte ihren Parlamentsboykott um gut einen weiteren Monat. Die Regierungspartei geriet kurze Zeit später in die Kritik, weil ihre Fortführung der als politisiert wahrgenommenen Bestellung der Richterinnen und Richter für den Obersten Gerichtshof Georgiens aus EU-Sicht das Abkommen konterkarierte. Am 28. Juli dann trat die Regierungspartei vom Abkommen zurück, verwies unter anderem auf die fehlende Unterzeichnung durch die VNB. Diese unterzeichnete plakativ am 2. September die Vereinbarung nachträglich, ohne sich bis dahin besonders konstruktiv gezeigt zu haben. Immer deutlicher zeichnete sich ab, dass die politische Krise neben der innenpolitischen auch zunehmend eine außenpolitische Dimension bekommt, indem sie auf die EU-Georgien-Beziehungen abfärbt.

Zuletzt warfen insbesondere zwei Ereignisse Schatten auf das Verhältnis: Ende August erklärte die georgische Regierung ihren Verzicht auf die EU-Makrofinanzhilfe mit der Begründung, das Land habe durch starkes Wirtschaftswachstum ausreichende Ressourcen und wolle die Auslandsverschuldung senken. Brüssel hingegen gab zu verstehen, dass Georgien die Bedingungen für die Auszahlung, nämlich Reformen zur Verbesserung der Unabhängigkeit und Transparenz der Justiz, nicht erfüllt habe. Daneben sorgte eine mögliche Überwachung von EU-Diplomatinnen und -Diplomaten durch den georgischen Geheimdienst für Aufsehen, wie sie vermeintlich aus diesem geleakte Dokumente nahelegen. In den vergangenen Wochen haben sich Beobachterinnen und Beobachter mit Blick auf das Verhältnis zwischen Brüssel und Tiflis daher immer öfter gefragt: Quo vadis?

Die Rhetorik der Regierungspartei deutet darauf hin, dass man das Bild eines folgsamen Schülers vis-à-vis einer belehrenden EU korrigieren und einen selbstbewussteren, national eigenständigen Kurs einschlagen möchte. Die Entwicklungen in den kommenden Monaten dürften zeigen, inwieweit diese machtpolitischem Kalkül geschuldet ist oder ob sie einer außenpolitisch substantielleren Kursänderung den Weg bereitet.

In Brüssel jedenfalls haben die Ereignisse der vergangenen Wochen und Monate durchaus irritiert. Dabei greift die Sondierung eines »Wie weiter?« über das unmittelbare EU-Georgien-Verhältnis hinaus. Angesichts der Verschiebung regionaler Kräfteverhältnisse im Kontext des 44-Tage-Kriegs in und um Bergkarabach stellt sich auch die Frage nach der Rolle der Europäischen Union im Südkaukasus. Das EU-Engagement in Georgien im Verlauf dieses Jahres lässt sich als Versuch Brüssels werten, dort stärkere Präsenz zu zeigen. Dass nun offenbar die »Soft Power« der EU sowie ihre finanziellen Anreize beim bislang am zuverlässigsten pro-europäisch ausgerichteten Staat in der Region an Grenzen stößt, sollte der EU zu denken geben.

Die EU muss ihre Rolle finden

Für den Fall, dass Georgien Vereinbarungen, wie eben Reformen zur Stärkung des Rechtsstaats, nicht umsetzt, behält sich die EU die Anwendung des sogenannten »less for less«-Prinzips vor: wer weniger umsetzt, erhält auch weniger Unterstützung. Das Beispiel Makrofinanzhilfe hat aber gezeigt, dass seine präemptive Wirkung begrenzt ist. Ein Risiko des Prinzips ist zudem, dass es ein Entfremden der Partner katalysiert, statt abwendet. Anstelle von »less for less« – welches das sonst waltende Prinzip »more for more« spiegelt – könnte daher ein »better targeted«-Ansatz sinnvoller sein.

Die EU-Unterstützung würde dabei etwa noch stärker auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zugeschnitten. Sozioökonomische Problemlagen werden in Umfragen regelmäßig als prioritäre Herausforderungen genannt; die Covid-Pandemie dürfte die Haushalte weiter belasten. Die EU könnte daher versuchen, ungenutzte Potentiale des Abkommens über die vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA) für die lokale Entwicklung zu nutzen, etwa für die Modernisierung der Landwirtschaft. Daneben könnte sie mit direkter Unterstützung der Zivilgesellschaft, die örtliche Strukturen und Kapazitäten besser berücksichtigt, Teilhabe an gesellschaftlichen, sozioökonomischen und politischen Entwicklungsprozessen fördern. Auf politischer Ebene könnte eine Task Force nach dem Beispiel der »Support Group for Ukraine« Reformen engmaschig begleiten und Unterstützungsleistungen innerhalb der EU sowie mit anderen externen Akteuren koordinieren. Wie erfolgreich ein solches Instrument wäre, hängt letztlich jedoch vom politischen Willen der Regierung in Tiflis ab. Im Moment scheint es so, als hätten machtpolitische Interessen dort mehr Gewicht.

Die derzeitigen Verstimmungen zwischen Tiflis und Brüssel bedeuten nicht, dass sich die EU weniger, sondern dass sie sich mehr mit einer eigenen strategischen Vision für ihre Rolle in Georgien und im Südkaukasus auseinandersetzen sollte. Der für Dezember geplante Gipfel der Östlichen Partnerschaft etwa würde sich für die Formulierung einer solchen Vision anbieten.

Türkei und Russland

Thu, 30/09/2021 - 02:05

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland stellen viele im Wes­ten vor Rätsel. Wie tragfähig ist das Verhältnis, welche Rolle spielt der Westen darin, worauf stützt es sich, und was kann der Westen daraus lernen? Von zentraler Bedeutung ist der bilaterale Rahmen. Die Beziehungen zwischen Ankara und Moskau fußen auf der gegenseitigen Anerkennung der Sicherheitsinteressen des jeweils anderen. Die sich daraus ergebende Schlüsseldynamik ist nicht nur in der aktuellen türkisch-russischen Part­nerschaft in Syrien zu beobachten, sondern prägte bereits die Zusammenarbeit in den 1990er Jahren. Das gegenseitige Eingehen auf Sicherheitsbedenken des anderen Partners wird durch die Aussicht auf gemeinsame Projekte erleichtert, deren Um­setzung mehr Vorteile verspricht als ein Verharren im Konflikt. Vertrauen spielt dabei ebenso eine untergeordnete Rolle wie die Qualität der persönlichen Beziehungen zwischen dem türkischen und dem russischen Präsidenten. Vielmehr kommt es auf die Interdependenzen an, die Russland und die Türkei miteinander verbinden. Das Potenzial für Konfrontation oder Kooperation zwischen Ankara und Moskau in regionalen Konflikten bemisst sich nach den gegenwärtigen Prioritäten, nicht nach Rivalitäten der Vergangenheit. Ausschlaggebend für Form und Ausmaß der Zusammenarbeit ist nicht die Frage, auf welcher Seite des Konfliktes sie stehen, sondern die nach ihren jeweiligen Beweggründen.

Deutsche Außenpolitik im Wandel

Thu, 30/09/2021 - 02:00

Die Bundesregierung wie auch der Bundestag stehen in der kommenden Legislaturperiode vor der Notwendigkeit, die Reichweite deutscher Verantwortung in der Weltpolitik neu zu bestimmen. Ohne eine Bestandsaufnahme, wie sich die internationale Arena verändert hat und welcher Wandel darüber hinaus geboten ist, können die Handlungspotentiale deutscher Außenpolitik nicht sachgerecht beurteilt werden. Internationale Machtverschiebungen, Positionsverluste des Westens, wachsender Autoritarismus, Schwächung multilateraler Institutionen und drängende globale Probleme wie der Klimawandel – all diese Herausforderungen erfordern eine Neuaufstellung deutscher Außenpolitik. Dabei gilt es die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit, aber auch die gegebenen Handlungsspielräume richtig einzuschätzen. Ziele wie Prioritäten sollten sich daran orientieren. Deutsche Außenpolitik steht in einem sich verschärfenden Wettbewerb um internationalen Einfluss und die Deutungshoheit über Normen und Werte. In den einzelnen Feldern auswärtigen Handelns ist dieser Wettbewerb unterschiedlich ausgeprägt. Daher kann deutsche Präsenz in der internationalen Politik nur wirkungsmächtig sein, wenn die Ressourcen der involvierten Ressorts zusammengeführt werden. Im außenpolitischen Entscheidungsprozess müssen Freiräume für voraus­schauende und mittelfristige Ansätze geschaffen werden. Auf diese Weise kann es gelingen, die Neigung zu Ad-hoc-Entscheidungen auszugleichen und ein vorwiegend reaktives Verhaltensmuster zu vermeiden. Deutschlands Außenbeziehungen müssen an belastbaren Partnerschaften und neuen Formen der Verantwortungsteilung in den verschiedenen Politikfeldern ausgerichtet sein. Wie dabei auftretende Zielkonflikte zu regeln sind, kann nur in einer offenen und transparenten Diskussion aus­gehandelt werden.

Resilienzförderung als Lösung für langandauernde Fluchtsituationen?

Wed, 29/09/2021 - 02:00

Die Zahl der Flüchtlinge weltweit steigt seit Jahren an, eine Umkehr dieses Trends ist auch in Zukunft nicht absehbar. Noch immer werden die meisten Flüchtlinge von Nachbarstaaten aufgenommen. Dabei nehmen langandauernde Fluchtsituationen zu, die sowohl Flüchtlinge als auch aufnehmende Länder vor große Herausforderungen stellen. Die internationale Gemeinschaft versucht seit Jahrzehnten, Lösungen für sol­che Fälle zu finden – bislang mit begrenztem Erfolg. Seit einigen Jahre gilt die Förde­rung von Resilienz, also von Widerstandsfähigkeit, als richtungsweisender Ansatz; unter anderem wird er in Jordanien und Libanon verfolgt. Wie ist dieser Ansatz zu bewerten? Kann er auch für andere langandauernde Fluchtsituationen als Modell dienen, beispielsweise in den Nachbarländern Afghanistans?

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