Measured in terms of licenses issued, Arab states will again be among the main recipients of German military equipment exports in 2020. This continues a trend that has been evident since the early 2000s and especially since 2010, all despite Germany’s recently extended ban on arms exports to Saudi Arabia. From 2018 to 2020, the value of export licences for the five most important Arab buyer countries has decreased compared to the previous period. However, their share of total export licences is still over 25 percent. In view of regional developments, this is problematic. The foreign policies of the biggest customers have changed in recent years as they become less predictable and more willing to use military means to assert their interests. Military equipment exports could thus contribute to further escalation of the numerous interstate conflicts in the Middle East and North Africa, thereby posing great risks to Germany and the EU. Against the backdrop of Germany and the EU’s own export guidelines, it is therefore advised to halt exports of military products to these countries.
Frankreich steht im Begriff, seinen Interventionskurs im Sahel zu ändern. Nach einem Mini-Aufwuchs von 600 zusätzlichen Soldaten seit Februar 2020 wird die Antiterror-Operation Barkhane wahrscheinlich auf das vorherige Niveau zurückgeführt werden. Mittelfristig sind weitere Reduzierungen möglich. Auch politisch kommt Bewegung in die französische Sahelpolitik, weil Paris ein Gleichgewicht anstrebt zwischen einem geringeren militärischen Fußabdruck, Terrorismusbekämpfung und größerer lokaler Verantwortung.
France is preparing to change its posture in the Sahel. After a “mini surge” of 600 additional soldiers since February 2020, its counterterrorism Operation Barkhane is likely to revert to the pre-surge level, with more reductions possible in the medium term. Regardless of the details and timetable of the adjustments, French policy toward the Sahel is evolving as Paris seeks to balance a lighter military footprint with counterterrorism goals, the continued internationalization of intervention, and more local responsibility.
Mit der »Krim-Plattform« hat in den letzten Monaten eine ukrainische außenpolitische Initiative Gestalt angenommen, die dazu beitragen soll, die illegale russische Besatzung der Halbinsel auf dem internationalen Radar zu halten. Am Ende steht das Ziel, diese zu beenden und die ukrainische territoriale Integrität wiederherzustellen. Sicherlich ist es wichtig, den völkerrechtswidrigen Charakter der Krim-Annexion im März 2014 immer wieder in Erinnerung zu rufen. Auch die problematische Lage der Bevölkerung der Halbinsel, etwa bei der Wasserversorgung, aber auch mit Blick auf Grundrechte wie die Freiheit der Meinungsäußerung, verdient internationale Aufmerksamkeit – ebenso wie die prekäre Situation von Minderheiten wie den Krimtataren. Die Militarisierung, die weit über die Halbinsel hinausgeht und die zunehmende russische Dominanz im Schwarzen Meer markiert, ist besorgniserregend und verlangt nach entschiedenen Schritten von EU bzw. NATO. Schließlich nimmt durch den russischen Umgang mit der Krim auch die Umwelt Schaden.
Die Krim-Frage ist wichtig, aber nicht prioritärDennoch ist zu befürchten, dass die Krim-Plattform Aufmerksamkeit und Energien bindet, die für andere Prioritäten der ukrainischen Innen- und Außenpolitik dringend gebraucht werden. Dies ist umso misslicher, als die Plattform in einer Phase vorangetrieben wird, in der Schlüsselreformen besonders gefährdet sind. Dies betrifft vor allem den Kampf gegen die Korruption, der zurzeit enorme Rückschläge erfährt.
Erfahrungen mit dem zur Beilegung des Donbas-Konfliktes etablierten Minsker Prozess zeigen ferner, dass Fortschritte unwahrscheinlich sind, wenn sie von Entscheidungen der russischen Führung abhängen. Zwar ist die Krim-Plattform kein Ort der Konfliktregelung, doch auch für sie gilt, dass wesentliche Veränderungen unmöglich sind, solange Russland das Gebiet kontrolliert. Immerhin hat der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba Russland öffentlich eingeladen, an der Plattform teilzunehmen. Damit ist er erwartungsgemäß auf Ablehnung gestoßen. Die Plattform wird daher eher ein »Krim-Freundeskreis« der Ukraine als ein Mechanismus zur Regelung oder gar Beilegung des Konflikts sein. Treffen der Plattform sollen auf Ebene von Staats- und Regierungschefs, Außenministerien, Parlamenten sowie Expertinnen und Experten stattfinden. Ein erstes Gipfeltreffen ist für dieses Jahr geplant, ferner eine Deklaration aller teilnehmenden Staaten, dass sie die Besatzung der Halbinsel durch Russland nicht anerkennen und die Ziele der Plattform unterstützen.
Ein Wermutstropfen ist auch der Umstand, dass die Ukraine mit der Krim-Plattform wieder in die Rolle des Opfers russischer Aggression schlüpft. Dies ist sie durchaus, allerdings gibt es viele Bereiche, in denen sie selbstbestimmt agieren kann. Zwar sind Hindernisse bei der Umsetzung der Reformen nicht unbedingt kleiner als diejenigen, die einer Lösung im Donbas und auf der Krim im Wege stehen. Allerdings liegen sie viel stärker in der Hand der Ukrainerinnen und Ukrainer selbst. Statt noch eine Baustelle aufzumachen, bei der sie nicht vorankommen können, sollten sie die Hindernisse bei den Reformprozessen systematischer angehen. Dafür muss die ukrainische Führung selbst aber stärker in die Verantwortung gehen.
Alte Seilschaften verhindern ReformenSowohl unter Wolodymyr Selenskyj als auch unter seinem Vorgänger Petro Poroschenko wurden wichtige Reformschritte unternommen. Aber das Fehlen einer Strategie und eine erratische Personalpolitik seit 2019 haben anderen Akteuren ermöglicht, zunehmend (wieder) die Kontrolle über die politische Agenda zu erlangen. Das sind in der Regel Akteure, die mit den alten Strukturen des ehemaligen Präsidenten Janukowytsch bzw. mit mächtigen Oligarchen verbunden sind und kein Interesse an Reformen haben.
Anders als ihre Befürworter womöglich argumentieren werden, spricht die Tatsache, dass die Krim-Plattform beim Außenministerium angesiedelt ist, nicht dafür, dass sie keine Reformkräfte beansprucht. Im Gegenteil ist die Reformagenda stark mit der Außenpolitik verflochten. Die Beziehungen zur EU basieren vor allem auf einem Assoziierungsabkommen, in dem sich die Ukraine verpflichtet, in einer Vielzahl von Bereichen EU-Regeln und -Praktiken zu übernehmen – dies erfordert Reformen. Erfolgen diese nicht, wird eine engere Kooperation zunehmend schwierig. Das Land ist ferner von internationalen Geldgebern wie dem Internationalen Währungsfonds abhängig, die bestimmte Reformen zur Bedingung für weitere Kredite machen. Davon abgesehen geht die Beschäftigung mit der Krim-Plattform weit über das Außenministerium hinaus. Allein der Umstand, dass Präsident Selenskyj sich die Krim-Plattform zu eigen macht, zeigt, dass sie hochrangige politische Akteure und ihre Teams in Anspruch nimmt und damit notwendige Kräfte für eben jene Reformen bindet.
Deutschland unterstützt die territoriale Integrität der Ukraine konsequent und sollte deswegen auch der Krim-Plattform beitreten. Allerdings wäre es nicht sinnvoll, dort erhebliche diplomatische oder politische Ressourcen zu investieren. Die Botschaft an die ukrainische Seite sollte sein, dass die Reformagenda absolute Priorität hat. Ihre Erfolge oder Misserfolge werden darüber entscheiden, ob die Ukraine als souveräner und demokratischer Staat fortbesteht. Eine reformierte Ukraine wird viel eher in der Lage sein, sich für ihre territoriale Integrität einzusetzen als ein Land, das von korrupten Netzwerken regiert wird. Sie wird dann auch leichter internationale Unterstützung für ihre außenpolitischen Ziele bekommen.
Der Sturm auf das US-Kapitol durch Anhänger des scheidenden Präsidenten Donald Trump ist eine Zäsur in der amerikanischen Politik. Der Angriff hat die USA außenpolitisch weiter geschwächt, der Imageschaden ist enorm. Es wird für die neue Biden-Administration noch schwerer, ihrem Anspruch als globalem Vorbild gerecht zu werden. Die Überzeugung vom einzigartigen Charakter der ältesten Demokratie – »American Exceptionalism« – stellt eine wichtige Säule für den globalen Führungsanspruch der Vereinigten Staaten dar. Die Geschehnisse beschädigen auch ihre »Soft Power«, jene Dimension amerikanischer Macht, die nicht allein auf wirtschaftlichen und militärischen Druck, sondern auch auf die Fähigkeit zu überzeugen setzt. Gerade in der Auseinandersetzung mit China ist sie von zentraler Bedeutung.
Auch innenpolitisch könnte sich die Eskalation vom 6. Januar als eine schwere Bürde erweisen. Sie unterstreicht die tiefe Spaltung und zieht viel Aufmerksamkeit auf sich. Sie könnte es für Joe Biden noch schwerer machen, politische Mehrheiten für drängende Vorhaben zu gewinnen – so die derzeit gängige Meinung. Doch bei näherer Betrachtung ergibt sich hier ein gemischtes Bild. Denn der Sturm aufs Kapitol erfolgte nahezu zeitgleich mit einem weiteren wichtigen Ereignis: der Verkündung des Ergebnisses der Stichwahlen zum Senat in Georgia. Mit einer Rekordbeteiligung holten die Kandidaten Raphael Warnock und Jon Ossoff den bisher verlässlich republikanischen Staat ins demokratische Lager. Ihr Sieg bedeutet, dass sich Joe Biden nun neben dem Repräsentantenhaus auch im Senat auf eine Mehrheit seiner Partei stützen kann. Diese Mehrheit von 50 Sitzen mit der Vizepräsidentin als entscheidender Stimme ist zwar hauchdünn und birgt ihrerseits Probleme. So könnte sie die Parteidisziplin bei den Demokraten schwächen und zu neuen Flügelkämpfen führen. Dennoch hat sich die Ausgangslage für Biden deutlich verbessert. Denn sowohl die Niederlage in Georgia als auch der Schock über die Gewalt der Trump-Anhänger könnte einen Teil der Republikaner zu einem Strategiewechsel bewegen.
Immer mehr distanzieren sich von TrumpSchon die Wahlniederlage der beiden republikanischen Kandidaten in Georgia, Kelly Loeffler und David Perdue, hatte Signalwirkung: Sie hatten wie Donald Trump das Ergebnis der Präsidentschaftswahl in Frage gestellt und wurden an den Wahlurnen abgestraft. Darüber hinaus offenbarten die Gewaltszenen in Washington am selben Tag, wie extremistisch, gefährlich und von der Realität entrückt der harte Kern der Trump-Unterstützer inzwischen ist. Nicht zuletzt die Republikaner im Kongress einschließlich des Vizepräsidenten Mike Pence mussten während des Sturms auf das Kapitol um ihre eigene Sicherheit fürchten. Donald Trump, der den Angriff befeuert hatte, ist damit in der Führungsriege der Republikaner diskreditiert. Pence und auch der bisherige Mehrheitsführer im Senat Mitch McConnell distanzierten sich noch klarer als in den Tagen vor dem Aufruhr. Diejenigen in der Partei, die mit ihrer bisher grenzenlosen Loyalität sein Verhalten ermöglicht haben, wie die Senatoren Josh Hawley und Ted Cruz, sind in die Defensive geraten. Wie es mit der Zustimmung der Republikaner im Senat für ein mögliches Amtsenthebungsverfahren aussieht, bleibt abzuwarten. Für Trump selbst noch verheerender: Soziale Netzwerke wie Twitter sperrten sein Account, sein wichtigstes Sprachrohr und Instrument zur Mobilisierung. Und inzwischen kehren ihm Unternehmen und andere Geldgeber den Rücken. Auch Wahlkampfspenden an Republikaner, die ihn bis zuletzt unterstützten, versiegen.
Eigene Mehrheit und die Chance auf Unterstützung der OppositionNoch kurz vor den Unruhen in Washington und dem Ergebnis aus Georgia sah es danach aus, als richteten sich McConnell und seine Partei darauf ein, die Politik Bidens zu blockieren, wo es geht. Doch der Umsturzversuch erhöht den Druck auf die Republikaner, eine konstruktivere Rolle einzunehmen. Sonst könnten sie bei kommenden Wahlen – im Frühjahr 2022 beginnt schon der Wahlkampf für die nächsten Kongresswahlen – den bürgerlichen Teil ihrer Anhänger verlieren, der an Verfassung, Recht und Gesetz festhält; die Abhängigkeit von radikalen Wählergruppen nähme weiter zu. Ob aus Einsicht oder Opportunismus, das politische Kalkül hat sich für die parlamentarische Führung der Republikaner geändert.
Den größten Effekt hätte ein republikanischer Strategiewandel in der Innenpolitik. Frühe Prioritäten Bidens sind die Pandemiebekämpfung, der wirtschaftliche Aufschwung sowie die Reparatur der durch Trump beschädigten politischen Institutionen. Einiges – vor allem die geplanten Änderungen in der Migrationspolitik – lässt sich per Dekret umsetzen. Für größere Maßnahmen wie Konjunktur- und Infrastrukturpakete oder Reformen im Gesundheits- und Sozialwesen sind Gesetzesinitiativen notwendig. In der Außenpolitik gibt es auch ohne den Kongress einigen Handlungsspielraum. Doch ein Kurswechsel bei transatlantischen Themen wie der Klima- und Handelspolitik oder einem neuen Iranabkommen ist nur von Dauer, wenn der Kongress einbezogen wird, das haben die letzten vier Jahre deutlich gezeigt. Das würde – je nach Thema – ein frühes Zugehen der Biden-Administration auf oppositionelle Kräfte in der eigenen Partei und bei den Republikanern erfordern.
Dank Georgia kontrollieren die Demokraten nun auch im Senat die legislative Agenda, und der neue Präsident kann sich bei der Bestätigung seiner Nominierungen für politische Ämter und Richterposten auf eine eigene Mehrheit stützen. Bei den meisten Gesetzen sind im Senat 60 Stimmen notwendig, um auch gegen mögliche Blockaden durch den sogenannten Filibuster eine Abstimmung zu erzwingen. Für den Erfolg besonders wichtiger Verfahren wie Amtsenthebung, die Ratifizierung von Verträgen oder Verfassungsänderungen bedarf es sogar einer Zwei-Drittel-Mehrheit (67 Stimmen). Für vieles ist Präsident Biden also auf die Zustimmung einiger Republikaner angewiesen. In welchem Maße die vor dem Hintergrund der Erfahrungen vom 6. Januar dazu bereit sind, bleibt offen. Aber seine Chancen, zumindest einen Teil seiner Agenda umzusetzen, sind besser als noch vor wenigen Wochen.
Dieser Text ist auch bei euractiv.de erschienen.
Am 15. Januar 2021 hat das russische Außenministerium die Absicht bekanntgegeben, den Vertrag über den Offenen Himmel (OHV) zu verlassen. Sobald die Kündigung formell zugestellt wird, verbleiben sechs Monate, bis der Austritt wirksam wird. Russland folgt damit den USA, die unter der Trump-Administration am 22. November 2020 aus dem OHV ausgetreten sind.
Der Vertrag erlaubt gemeinsam geplante und ausgeführte Beobachtungsflüge über den Hoheitsgebieten der 33 Vertragsstaaten im OSZE-Raum zwischen Vancouver und Wladiwostok. Er bezweckt, die Einhaltung von Rüstungskontrollvereinbarungen zu verifizieren und die Transparenz militärischer Aktivitäten auch in Krisenzeiten zu gewährleisten.
Mit dem Austritt Russlands hätte der OHV seinen strategischen Zweck verloren. Die euro-atlantische Sicherheitsarchitektur, die schon lange erodiert, würde eines ihrer letzten Instrumente verlieren, die direkte militärische Kontakte und Vertrauensbildung ermöglichen und für Stabilität in Europa sorgen können.
Die Trump-Administration hat den Austritt der USA aus dem OHV mit russischen Implementierungsdefiziten begründet. Moskau habe unzulässige Flugstreckenbegrenzungen über Kaliningrad und in einem schmalen Streifen an den Grenzen Georgiens vorgenommen. Doch hatten auch die USA russische Flüge über Alaska und den pazifischen Inseln eingeschränkt. Zwar teilten die Nato-Verbündeten die Bedenken Washingtons, machten jedoch keinen substantiellen Vertragsbruch geltend. Die Bemühungen Deutschlands, Frankreichs und anderer Alliierter, die USA im OHV zu halten, blieben erfolglos.
In Russland konkurrieren zwei InteressengruppenAuf das europäische Interesse, den Vertrag weiterhin gemeinsam mit Russland zu implementieren, hat Moskau ambivalent reagiert. Dort konkurrieren quer durch Außenministerium, Generalstab, Akademie der Wissenschaften und Duma zwei Interessengruppen. Die eine beansprucht für Russland, stets auf strategischer Augenhöhe mit den USA zu agieren und keine ungleichen Verträge zu tolerieren. Denn die Nato-Verbündeten könnten bis zu 42 Beobachtungsflüge pro Jahr über Russland durchführen, während es selbst nicht über den USA fliegen dürfe. Die andere Gruppe will den OHV weiter implementieren und sich auf die Sicherheitskooperation mit Europa konzentrieren. Dafür sollten zwei Bedingungen erfüllt werden:
Erstens müssten die anderen Vertragsstaaten russische Beobachtungsflüge ohne Einschränkungen, also auch über europäischen US-Militärbasen, zulassen. Zweitens sollten sie zusichern, keine Erkenntnisse aus den Beobachtungsflügen über Russland an die verbündeten USA weiterzugeben.
Beide Forderungen hat Russland bei zwei OHV-Konferenzen im Juli und Oktober 2020 sowie bei der Flugquotenverteilung für das Jahr 2021 mit Nachdruck vertreten. Die Vertragspartner haben dem inhaltlich nicht widersprochen, unterstrichen aber zutreffend, dass dies schon aus dem Vertragstext und den Folgebeschlüssen der OH-Beratungskommission (OSCC) hervorgehe. Gleichwohl bekannten sich alle 33 Vertragsstaaten dazu, den OHV weiter zu implementieren.
Doch am 11. Dezember 2020 leitete die russische Delegation der OSCC einen Beschlussentwurf zu, der den bisherigen Wortlaut der OSCC-Entscheidung zum Schutz sensibler Daten revidieren soll. Es solle erklärt werden, dass unter keinen Umständen Daten an Nichtvertragsstaaten weitergegeben werden dürfen, die bei OH-Flügen gewonnen werden. Dies hätte zur Folge, dass auch die bisher zulässigen Ausnahmen – etwa im Rahmen des Krisenmanagements auf Anforderung internationaler Organisationen – aufgehoben würden. Die Absicht der zuständigen OSCC-Arbeitsgruppe, den Entwurf routinemäßig am 25. Januar 2021 zu behandeln, wertete Moskau als unzureichende Reaktion der Vertragspartner. Am 22. Dezember 2020 forderte das russische Außenministerium die anderen Vertragsstaaten ultimativ auf, dem russischen Entscheidungsvorschlag bis zum 1. Januar 2021 zuzustimmen und entsprechende rechtsverbindliche Zusicherungen zu geben. Anderenfalls müsse Russland die Vertragskündigung einleiten.
Europäer für Klärung im Rahmen üblicher VerfahrenIn einer gemeinsamen Antwort vom 30. Dezember erklärten die Außenminister von 16 Vertragsstaaten, darunter Deutschland und Frankreich, dass sie den OHV in vollem Umfang implementieren und offene Fragen in den zuständigen Arbeitsgruppen lösen wollen. Zudem verwiesen sie darauf, dass das russische Interesse bereits durch den Vertragstext und die relevanten OSCC-Beschlüsse gewahrt sei. Demnach sind Ausnahmen für die Datenweitergabe nur dann zulässig, wenn Beobachtungsflüge besonderen internationalen Zwecken dienen und vorher im Konsens vereinbart werden. Doch boten sie an, das russische Anliegen auf einem vorgezogenen Treffen im Januar zu diskutieren. Ein Ultimatum lehnten sie allerdings ab.
Eine einvernehmliche politische Erklärung wäre noch immer möglich. In Moskau hat sich jedoch offenbar das Lager durchgesetzt, das der politischen »Augenhöhe« mit den USA mehr Bedeutung beimisst als der Sicherheitskooperation mit den Europäern. Sie scheint Europa nicht als eigenständige politische und militärische Größe wahrzunehmen, sondern nur als Profiteur der militärischen Macht der USA. Russland begibt sich somit der Chance, sich als Rüstungskontrollmacht zu präsentieren, von der US-Politik unter Präsident Trump abzusetzen und unter Beweis zu stellen, dass die Sicherheitskooperation mit Europa in diesem Segment auch ohne die USA funktionieren kann. Damit brüskiert Moskau diejenigen in Europa, die für Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung eintreten, und verschärft ihre Skepsis gegenüber der Zusammenarbeit mit Russland.
Der künftige US-Präsidenten Joe Biden wird sich durch die jüngste Moskauer Volte nicht beeindrucken lassen. Denn der Wiedereintritt in den OHV hat für ihn weder Priorität, noch dürfte er im Senat die dafür erforderliche Zweidrittelmehrheit erzielen. Dass Moskau kurz vor seiner Amtsübernahme die Atmosphäre trübt, bevor Biden seine erklärte Absicht umsetzen kann, zur Sicherheitskooperation und Rüstungskontrolle zurückzukehren, ist unklug. Denn zumindest die Verlängerung des Vertrags über die Begrenzung strategischer Nuklearwaffen (New START), der anderenfalls am 5. Februar 2021 ausläuft, liegt auch im Interesse Moskaus.
Die abrupte Abkehr vom OHV hat der russische Präsident bereits in seiner Erklärung vom 17. Dezember angedeutet. Eine Revision dieser Entscheidung kann daher nicht mehr durch Routineverfahren auf der Arbeitsebene erreicht werden, sondern nur durch das Engagement auf höchster Regierungsebene. Dies verlangt vor allem deutschen und französischen Führungswillen.
Internationale Kooperation im Gesundheitssektor ist seit über fünf Jahren ein fester Bestandteil der chinesischen Seidenstraßeninitiative (BRI). Seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie wirbt die chinesische Führung für diesen Teilbereich der Initiative (»Gesundheitsseidenstraße«) als einen Schlüssel für den Aufbau einer »Weltschicksalsgemeinschaft«. Die Pandemie offenbart die Stärken der BRI und ihre Funktionsweise. Chinas Gesundheitsdiplomatie agiert weitsichtig und strategisch. Beijing verknüpft Maßnahmen der Pandemiebekämpfung in Hilfsempfängerstaaten mit der Aussicht auf Kooperation im Rahmen der BRI in der Zeit nach der Corona-Pandemie. Nicht zuletzt strebt Beijing danach, international als »verantwortungsvolle Großmacht« wahrgenommen zu werden.
Der im Westen vielfach verengte Fokus auf Qualitätsmängel chinesischer Hilfsleistungen lässt verkennen, dass Beijing viele Drittstaaten effektiv und umfassend unterstützt hat, bei Abwesenheit traditioneller Hilfsgeber. Um Chinas Einflussgewinn in Regionen entgegenzutreten, die für Deutschland und Europa strategisch relevant sind, wäre es notwendig, eine größere Sensibilität für die geopolitischen Implikationen der Pandemie zu entwickeln und Drittstaaten konkrete europäische Angebote für die Zeit nach der Pandemie zu machen. Parallel zu mehr Engagement auf multilateraler Ebene (etwa innerhalb der Weltgesundheitsorganisation [WHO]) sind auch verstärkte bilaterale Aktivitäten (zum Beispiel über regionale EU+x-Formate) oder die Koordinierung mit der neuen US-Regierung unter Joe Biden Handlungsoptionen.
Die Präsidentschaftswahlen vom 10. Januar 2021 und das damit verbundene Verfassungsplebiszit sind das Ergebnis einer von Gewalt begleiteten Dynamik, die Kirgistan seit Oktober 2020 in Atem hält. Mit der Wahl des Populisten Sadyr Japarov zum Präsidenten und der Zustimmung zu der von ihm forcierten Wiedereinführung eines Präsidialsystems wird der Weg bereitet für einen Abbau demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien, mit dem sich Kirgistan den politischen Verhältnissen in den zentralasiatischen Nachbarstaaten annähert. Eine neue Verfassung ist in Vorbereitung. Der Entwurf trägt die Handschrift von Akteuren, die eine Pfadumkehr unter neo-traditionalen Vorzeichen anstreben. Er düpiert eine junge Generation politischer Kräfte, die für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintreten, und ist geeignet, das Land anhaltend zu polarisieren.
Turkey deepened its cooperation with Qatar when the tiny emirate was most vulnerable and highly reliant on outside assistance for food supplies, security against perceived threats from neighbours and internal coup threats. Given that restoring diplomatic ties with the Gulf Cooperation Council (GCC) and opening borders and airspace will make Qatar less dependent on Turkey, it might appear surprising that President Recep Tayyip Erdogan welcomed the agreement and expects benefits for Turkey and the Gulf states.
The current “solidarity and stability” deal between Qatar and the GCC plus Egypt makes no mention of the 13 demands of 2017, which included closing the Turkish military base and halting military cooperation with Ankara.
Three ways the deal could affect TurkeyWhile full clarification of the deal’s terms and impact will have to wait, it clearly does not resolve all the problems between Qatar and its Gulf neighbours. There are challenges ahead. Three plausible scenarios for the consequences for Turkey are outlined in the following.
Status quo continues: Relations between Qatar and Turkey continue largely unchanged. Although Doha’s relations with Riyadh improve, the rivalry between the United Arab Emirates (UAE) and Egypt remains, and Qatar will not necessarily change its foreign policy. Saudi Arabia and its “Arab Quartet” allies – the UAE, Bahrain and Egypt – cannot achieve with carrots what they failed to accomplish with sticks.
Continuation of the status quo would not, however, make Qatar an unconditional ally for Turkey; Ankara never had absolute influence over Doha. While Qatar did refuse to endorse an Arab League condemnation of Turkish military operations in Syria and Iraq in 2016, it chose not to block a later communique reflecting the same sentiment. Qatar Petroleum also joined ExxonMobil in signing exploration and production-sharing contracts with Cyprus in 2017, which contradicts Turkey’s Eastern Mediterranean policy. In this scenario Turkey’s proactive, militaristic foreign policy will continue unchanged, from Syria to Libya. But Ankara will need to spend more effort on maintaining its relationship with a less reliant Qatar.
Regional isolation: Turkey loses its influence over Qatar as the latter’s relations with its neighbours revive, leaving Ankara further isolated in the region. The Arab Quartet had hoped that blockading Qatar would draw Doha away from Turkish and Iranian influence and squash its independent foreign policy. The plan failed and brought about the opposite: Qatar increased its cooperation with Turkey and deepened its ties with Iran.
Following reconciliation, Saudi Arabia and its allies might pursue a more realistic, limited set of goals such as limiting rather than eradicating the Turkish presence and influence in Qatar. This approach has a better chance of achieving results, and would be a challenge to Turkey. Following the GCC summit, UAE Foreign Minister Anwar Gargash said that some issues would take longer to fix than others: “One of the big things will be the geostrategic dimensions, how do we see regional threats, how do we see the Turkish presence? Is Turkey’s presence in the Gulf going to be permanent?”
Reconciliation with the Gulf region: Turkey’s disputes with Saudi Arabia and the UAE did not start with the Qatar blockade, and will not end with its lifting. However, by agreeing to lift the blockade without asking Qatar to concede any of their original main demands, Saudi Arabia and its allies have acknowledged a new power balance in the Gulf. That might give Qatar the leverage to mediate between Turkey and Saudi Arabia. Turkey would then benefit from the thaw.
Separate reconciliation processes are already under way between Turkey, Saudi Arabia, Israel and Egypt. According to Mithat Rende, former Turkish ambassador to Qatar, at the same time as communication was reestablished between Qatar and Saudi Arabia, another channel was opened between Istanbul and Riyadh. Ankara has also engaged in backdoor diplomacy and intelligence cooperation with Israel and Egypt.
There can no reconciliation without agreement to seek common ground regarding geostrategic approaches in the region. The price for Ankara could be moderating its approaches across the Arab world and exercising restraint in Libya, Syria and Iraq. The fact that the Saudis are currently more focused on potential threats from Iran rather than on Turkish intervention in the Middle East provides a promising context for negotiations. Reconciliation between Turkey and Saudi Arabia would also constrain the Emiratis and Egyptians, for whom stopping Turkey’s activities is more urgent than Qatar downgrading its ties with Iran.
Turkish-Saudi efforts to find a compromise may receive a boost from Qatar. In Qatar, Ankara now has a well-connected ally in the Gulf that could serve Ankara’s ends, also in its own interests. Although it is unlikely that Ankara will change its geostrategic direction in order to gain friendlier relations with the Gulf states, it will still benefit from Doha restoring relations with Riyadh and its allies.
European engagementTo use an analogy from war, the GCC deal is a truce rather than a peace agreement. And it is still work in progress. If rapprochement within the GCC facilitates reconciliation with Turkey, this could lead to a broader process potentially including Israel – which is itself in a parallel process of normalising relations with Arab countries such as Bahrain, the UAE, Sudan and Morocco.
If, on the other hand, the GCC and Egypt manage to gradually detach Qatar from Turkey, this will have negative repercussions for Turkey’s militaristic policies in Syria and Libya, at least financially – as Qatar funds Turkey’s partners and proxies – and politically.
Greater regional isolation and reconcilation with the Gulf would both constrain Turkey’s activities in conflicts such as Syria and Libya. European engagement, in the form of pressure on all sides to achieve resolution would be useful. By contributing to stability in the region that could ameliorate the associated security and migration challenges.
This text was also published at fairobserver.com.
On 5 November 2020 Mexico ratified the so-called Escazú Agreement, a treaty between Latin American and Caribbean states on establishing regional transparency and environment standards, as the eleventh country to do so. The prescribed quorum of ratifications has thus been attained, and the agreement can come into force in 2021. This will launch an innovative multilateral instrument that is intended to create more citizen participation and improve the assertion of citizens’ rights in environmental matters. In Latin America, economic interests dominate when it comes to the exploitation of raw materials; furthermore, there is a large number of conflicts over resources. The agreement thus offers affected indigenous tribes and human-rights defenders more opportunities for information, participation and access to the justice system in environmental matters. Despite this binding first step, some leading countries in the region have so far failed to ratify the agreement. Many of them are reluctant to join, arguing that certain provisions violate their national sovereignty and their freedom of decision. For Germany and Europe, the agreement offers new leverage for drafting supply chain laws.
Der Vertrag über das Verbot von Kernwaffen tritt am 22. Januar in Kraft. Deutschland lehnt einen Beitritt ab. International durchsetzen wird sich die mit dem Vertrag angestrebte Ächtung von Kernwaffen in absehbarer Zukunft nicht. Grund sind inhaltliche Schwächen des Abkommens; außerdem gründet es auf fragwürdigen Annahmen, wie sich nukleare Abrüstung politisch erreichen lässt. Vor allem aber vernachlässigen seine Fürsprecher, dass sich der Vertrag in der Praxis stärker gegen Demokratien als gegen autokratische Kernwaffenstaaten richtet. In dieser Form wird nukleare Abrüstung nicht machbar sein – es wäre auch nicht in Deutschlands Interesse.
The signing of the Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) on 15 November 2020 establishes the world’s largest free trade area. The agreement was hailed as an important step forward for the international trade system: protectionism is no longer the only visible option for the third decade of the twenty-first century. But RCEP is a relatively weak instrument. It consolidates existing trade agreements in the region, but does not represent a breakthrough to a liberal economic space. It lacks the potential to make the Asia-Pacific region into a monolithic trading bloc, nor does it contribute to overcoming growing political tensions in the Indo-Pacific.
The development of the Future Combat Air System (FCAS) is Europe’s most important defence project. Both technologically and militarily, the project has the potential to set new standards and revolutionise the use of air power. Politically, the multinational project is a litmus test for the extent to which Europe is capable of cooperating on security policy, developing its own capabilities and putting national interests to one side for this purpose. The success of the project rides to a great extent on Germany and France. However, the different perspectives and procedures of these two countries place FCAS at risk of collapse – a failure that would have serious disadvantages for all involved.
Es war eine Einigung in fast letzter Minute: Das am 30. Dezember 2020 unterzeichnete »Handels- und Kooperationsabkommen« zwischen EU und Vereinigtem Königreich hat den No-Deal-Brexit nur einen Tag vor Ende der Übergangsphase verhindert. Viereinhalb Jahre nach dem Austrittsreferendum werden die Beziehungen zwischen der EU und ihrem ehemaligen Mitgliedstaat damit auf eine neue Basis gestellt. Es ist ein beachtliches Verdienst der Verhandlungsführer auf beiden Seiten, dass trotz der widrigen Bedingungen ein solch komplexes Vertragswerk zustande gekommen ist.
Und doch steht am Ende des Prozesses ein weitgehend harter Brexit, der dem britische Streben nach Souveränität geschuldet ist. Zwar läuft der Warenverkehr weiterhin zollfrei und ohne quantitative Beschränkungen, dennoch entstehen im Vergleich zur Binnenmarktmitgliedschaft viele neue nicht-tarifäre Handelsschranken. Die (Finanz-)Dienstleistungen sind weitgehend aus dem Vertrag ausgeklammert, mit wenigen Ausnahmen verabschieden sich die Briten aus europäischen Projekten wie Erasmus, und auch die Außen- und Sicherheitspolitik wurde von London ganz ausgenommen. Die EU kann für sich verbuchen, trotz des nun beschränkten Marktzugangs weitreichende Instrumente für die Sicherung fairer Wettbewerbsbedingungen (»Level Playing Field«) durchgesetzt zu haben. Hierzu gehört auch die Möglichkeit zur Wiedereinführung von Zöllen und anderen Handelsbeschränkungen, sollte es in Zukunft zu einer maßgeblichen Divergenz von Arbeitsrechts- oder Umweltstandards kommen. Und so haben beide Seiten ihre bemerkenswert defensiven Ziele erreicht: Boris Johnson bekommt seinen harten Brexit, die EU kann ihren Binnenmarkt und ihre Standards verteidigen.
Das Auseinanderdriften ist nicht programmiertAuf der Strecke geblieben ist die ursprüngliche Idee einer britisch-europäischen Partnerschaft. Dennoch ist ein weiteres Auseinanderdriften nicht programmiert. Vielmehr gibt es fünf Gründe, warum aus dem Handelsvertrag trotz des Rosenkriegs um den Brexit eine stabile langfristige Beziehung entstehen kann.
Erstens markiert der Handelsvertrag nicht das Ende der Verhandlungen zwischen London und Brüssel. Das Abkommen selbst sieht eine Überprüfung nach fünf Jahren vor – also ein knappes halbes Jahr nach den nächsten britischen Parlamentswahlen – in deren Zuge die Beziehungen auch wieder vertieft werden können. Darüber hinaus gibt es eine Klausel, die die Überprüfung des Nordirland-Protokolls im Jahr 2024, Übergangsfristen für die Energiekooperation und die Fischerei sowie noch 2021 Gespräche zu Datenaustausch und Finanzmarktdienstleistungen vorsieht. Ähnlich wie mit der Schweiz wird es also laufend Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien geben, wenn auch auf einem politisch weniger dramatischen Niveau als zuletzt. Gerade diese Entdramatisierung der Beziehungen bietet eine Chance auf Wiederherstellung von Vertrauen und Verbesserung der Kooperation.
Zweitens ist das Abkommen auf eine Erweiterung ausgelegt. Es begründet eine institutionalisierte Kooperation zwischen London und Brüssel mit einem EU-UK-Partnerschaftsrat und einer Reihe spezialisierter Fachausschüsse etwa zum Güterhandel, zur Energiekooperation oder zur britischen Beteiligung an EU-Programmen. Dabei ist es explizit als »Dachabkommen« angelegt, in dessen institutionellen Gesamtrahmen sich weitere »Zusatzabkommen« einfügen können.
Eine fortgesetzte VerflechtungDrittens werden die wirtschaftlichen Beziehungen für beide Seiten trotz neuer Handelsbeschränkungen wichtig bleiben. Dafür sprechen die geographische Nähe, die enge Verflechtung vieler Wirtschaftszweige und die gegenseitige Bedeutung mit der EU als bei weitem wichtigster Handelspartner der Briten sowie Großbritannien als zweitgrößte Volkswirtschaft Europas. Hinzukommen die Level-Playing-Field-Bestimmungen des neuen Handelsvertrags, mit denen sich beide Partner verpflichten, geltende EU-Standards, soweit sie den Handel betreffen, aufrechtzuerhalten – und Anreize geschaffen wurden, bei neuen Standards Schritt zu halten.
Viertens wurde bei den gegenseitigen Drohungen mit dem No-Deal-Brexit auch deutlich, wo trotz schwieriger Trennung die gemeinsamen Interessen liegen. So räumt das Handels- und Partnerschaftsabkommen der Klimapolitik eine wichtige Stellung ein, in der das Vereinigte Königreich 2021 mit der Ausrichtung des nächsten Klimagipfels – gemeinsam mit Italien – eine zentrale Rolle einnimmt. Hier bietet sich auch eine trilaterale Zusammenarbeit mit der neuen US-Administration an. Stärker als erwartet fällt auch die fortgesetzte Beteiligung der Briten an EU-Programmen wie dem EU-Erdbeobachtungsprogramm Copernicus sowie Teilen des Datenaustausches in der Innen- und Justizpolitik aus.
Nordirland als gemeinsame AufgabeFünftens ist Nordirland in der Kombination von Austritts- und Handelsvertrag endgültig zur gemeinsamen Aufgabe von Großbritannien und der EU geworden. Um die Grenze zum EU-Mitglied Republik Irland offen zu halten, gelten in Nordirland nunmehr weiterhin die Regeln des EU-Binnenmarkts; in der Irischen See ist zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs eine Handelsgrenze entstanden. Bei jeder Abweichung von EU-Standards wird die britische Regierung nunmehr nicht nur abwägen müssen, ob dies die Level-Playing-Field-Regeln bricht – und die EU somit Handelsschranken errichten könnte –, sondern auch, ob neue innerbritische Handelsschranken zu Nordirland entstehen. Die EU hat gleichsam auch im Interesse ihres Mitglieds Irlands die Verantwortung, gemeinsam mit der britischen Regierung dafür zu sorgen, dass diese komplexen Regelungen möglichst reibungslos funktionieren, um den Frieden in Nordirland nicht zu gefährden.
Der unter hohem Zeit- und politischem Druck entstandene Handelsvertrag legt damit vor allem eines – ein Fundament, auf dem die britisch-europäischen Beziehungen neu entstehen können. Der harte Brexit ist nun Tatsache, der Schritt von der EU-Mitgliedschaft zu einem Drittstaat mit reinem Handelsvertrag vollzogen. Es obliegt nun der politischen Ausgestaltung, wie dieses Fundament genutzt wird. Die EU und Deutschland sollten offen dafür sein, auf diesem Fundament eine stabile europäisch-britische Partnerschaft zu bauen.
Is it not ironic that the Coronavirus pandemic, which arguably began in a Wuhan animal market in late 2019, has accelerated China’s rise? Indeed, early interim assessments show that Beijing’s draconian, sometimes inhumane, disease control measures have proven highly successful. China’s containment of Covid-19 domestically has enabled a return to normality and laid the foundation for a strong economic upswing. Party and state leaders are using these achievements for political advancement at home and abroad. China’s effective crisis management – epidemiological, economic, and political – reveal that the country is winning this crisis in the end of 2020. Nonetheless, the sustainability of these economic and political successes is debatable.
Im Königreich Dänemark steht 2021 ein wichtiges Jubiläum an: Am 12. Mai 1721 ist der evangelische Pfarrer Hans Egede mit dem Segen des dänischen Monarchen aufgebrochen, um die Insel Grönland zu missionieren. Für manche Grönländer markiert das Datum den Anfang der Fremdherrschaft über ihre Insel. Sie sehen in der 300-jährigen Wiederkehr des Ereignisses weniger einen Anlass zu feiern als einen Anstoß, sich unabhängig vom Königreich zu erklären, dem sie seit 2009 als autonomes Gebiet angehören. Ähnlich kontroverse Aufmerksamkeit wie die Statue Egedes in der grönländischen Hauptstadt Nuuk findet immer noch die Idee von US-Präsident Donald Trump, seinem Nato-Verbündeten die Insel in einer Art Immobilienhandel abzukaufen. Die arrogante Attitüde hat die Grönländer verärgert, aber auch verunsichert, weil sie die prekäre Grundlage ihres Projekts Unabhängigkeit offenbart hat. Denn angesichts fehlender staatlicher und wirtschaftlicher Voraussetzungen erscheint eine Loslösung von Dänemark nur auf lange Sicht realisierbar. Ein neuer ehrgeiziger Premierminister in Nuuk könnte dem Unabhängigkeitsprozess aber 2021 eine neue Dynamik verleihen.
Am 5. November 2020 ratifizierte Mexiko als elfter Staat das sogenannte Escazú-Abkommen, eine Vereinbarung der Staaten Lateinamerikas und der Karibik zur Etablierung regionaler Transparenz- und Umweltstandards. Da somit die vorgegebene Mindestzahl an Ratifikationen erreicht worden ist, kann das Abkommen im Jahr 2021 in Kraft treten. Dadurch wurde ein innovatives multilaterales Instrument geschaffen, das für mehr Bürgerbeteiligung und eine bessere Durchsetzung von Bürgerrechten in Umweltbelangen sorgen soll. In Lateinamerika sind wirtschaftliche Interessen an der Ausbeutung von Rohstoffen dominant, außerdem gibt es eine hohe Zahl an Ressourcenkonflikten. Vor diesem Hintergrund eröffnet das Abkommen betroffenen indigenen Völkern und Verteidigern von Menschenrechten in Umweltbelangen neue Möglichkeiten der Information, Partizipation und des Zugangs zum Justizwesen. Trotz dieses ersten verbindlichen Schritts nach vorne fehlen noch die Ratifizierungen maßgeblicher Staaten der Region. Viele von ihnen wollen dem Abkommen gegenwärtig nicht beitreten, da sie ihre nationale Souveränität und Entscheidungsfreiheit durch Vertragsbestimmungen verletzt sehen. Deutschland und Europa bietet das Abkommen neue Ansatzpunkte bei der Formulierung von Lieferkettengesetzen.
Candida Splett: 2030 ist ein kritisches Jahr, sowohl für die Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (»SDGs«) als auch für die Klimaziele der Europäischen Union. Die Ziele können nur mit großen Schritten erreicht werden – doch nun hat die Corona-Pandemie die Staatengemeinschaft ausgebremst. Was ist passiert?
Marianne Beisheim: Probleme gab es auch ohne die Pandemie schon: Als im September 2019 beim sogenannten SDG-Gipfel eine »Aktionsdekade« für die zehn Jahre bis 2030 ausgerufen wurde, hatten Begriffe wie Dekarbonisierung oder Green Economy in der gemeinsamen Resolution keine Chance. Die Staaten riefen zwar zu beschleunigter Umsetzung auf, aber ohne sich verbindlich zu konkreten Maßnahmen zu verpflichten. Mit der Pandemie wurde es noch schwieriger, die Ziele zu erreichen, als ohnehin schon: Hunger und Armut nehmen wieder zu, und Bildung ist schwierig, weil Kinder nicht zur Schule gehen können. Im Sommer 2020 musste das UN-Forum zu nachhaltiger Entwicklung rein virtuell stattfinden. Da fehlte die Dynamik, die bei realweltlichen Konferenzen entsteht.
Susanne Dröge: Die Klimakonferenz COP26 wurde aufs nächste Jahr verlegt. Da hat man die Reißleine gezogen, weil das Networking am Rande der Konferenz und die Möglichkeit, spontan Dinge auszuhandeln, essentiell für ihren Erfolg ist. Virtuell funktioniert das nicht. Und die Klimapolitik hatte ja auch bereits stark unter dem Rückzug der USA aus dem Klimaabkommen gelitten.
Sie zeichnen in Ihrem Studienbeitrag zwei Szenarien für das Zieljahr 2030. Eines, in dem es gelungen ist, die internationale Gemeinschaft vereint »an Deck« zu holen, um sich für einen wirksamen Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Und eines, in dem Deutschland und die EU alleine dastehen. Was sind Stellschrauben für eine positive Entwicklung?
Beisheim: Ich fand bemerkenswert, dass es die UN geschafft hat, im Laufe dieses Jahres ein positives Narrativ zu entwickeln. Das hieß zunächst »Build back better«, dann »Recover better«. Es geht darum, dass man Konjunkturprogramme zur Bewältigung der Pandemiefolgen von Anfang an mit anderen Zielen zusammendenkt, zum Beispiel Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung. Wichtig ist, dass wir dieses Narrativ konkretisieren. Und zwar jetzt: Wir haben eine unerwartet hohe Mobilisierung von Geldern und politischem Willen. Etwas in dieser Größenordnung werden wir nicht so schnell noch einmal erleben. Die Koordinaten für den zukünftigen Kurs werden jetzt gesetzt.
Dröge: In der Klimapolitik sind die Stellschrauben für »Recover better« da, sie müssen vor allem angezogen werden. Eine davon ist der Green Deal, mit dem die EU eine solche Agenda anbietet. Die mehr als 50 Vorschläge müssen weiter geprüft und konkret vorangetrieben werden. Da geht es zum Beispiel darum, auf Kreislaufwirtschaft zu setzen, also Ressourcen mehrfach einzusetzen Hier könnte man über konkrete Etappen für Recyclingquoten nachdenken. Was in Deutschland gerade auf Eis liegt, ist das Lieferkettengesetz. Da geht es darum sicherzustellen, dass Lieferketten umweltfreundlich oder sozialverträglich sind. Das sollte zügig vorangehen.
Ist die EU mit ihren Vorhaben ambitioniert genug?
Beisheim: Der Green Deal setzt gute Akzente, vor allem im Klimabereich, aber das reicht nicht aus. Nehmen wir zum Beispiel den Europäischen Aufbauplan oder den gesamten EU-Haushalt: Dort ist die Rede von circa 30 Prozent der Mittel, die in grüne Sektoren fließen sollen. Aber was ist mit dem Rest? Stützen sie unter Umständen auch Wirtschaftsbereiche, die wir gar nicht mehr retten sollten? Wenn wir sie nicht retten wollen, müssen wir uns fragen, wie wir mit sozialen Verwerfungen umgehen, die das mit sich bringt. Welche Lösungen wir hierfür finden, interessiert auch Entwicklungs- und Schwellenländer, die nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten haben wie wir.
Welche Rolle spielt das Vorbild der EU für die Entwicklungs- und Schwellenländer?
Beisheim: China zum Beispiel muss innenpolitisch seine Versprechen von sozialem Aufstieg und Wohlstand erfüllen. Dort wie auch anderswo werden sich Regierungen nur anders verhalten, wenn sie Wege beschreiten können, auf denen sie soziale und wirtschaftliche Ziele erreichen und gleichzeitig ökologische Grenzen respektieren können. Die EU muss vormachen, wie das geht.
Dröge: Dabei geht es auch um Wettbewerb. China hat gezeigt, wie die Produktion von Solarpanels, die ja mit dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz überhaupt erst Fahrt aufnahm, viel kostengünstiger werden konnte und ist inzwischen Weltmarktführer. Durch die Produktion großer Mengen konnten Preise gedrückt werden. Dieser Kick-off für weiteren technologischen Wettbewerb muss von der EU kommen. Ein Feld, wo das wichtig ist, sind alternative Technologien für die CO2-intensive Stahlproduktion. Solche Investitionen müssen erst staatlich mitfinanziert werden, bis sie sich rechnen, und dann kann es zu internationalem Wettbewerb kommen. Die Aussicht auf Technologieführerschaft könnte auch die USA überzeugen, und auf die kommt es als Partner für die EU entscheidend an.
Was kann die Politik aus der Corona-Pandemie für den Umgang mit Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung lernen?
Beisheim: Wir sehen jetzt, dass systematische Krisen extrem hohe Kosten verursachen, wenn nicht rechtzeitig und umfassend gehandelt wird. Daraus kann man die Einsicht gewinnen, dass Prävention die kostengünstigere Variante ist. Wir lernen auch, dass die soziale Dimension sehr wichtig ist, wenn wir Maßnahmen für Wendeprozesse entwickeln. Und Hoffnung macht, dass der ACT Accelerator, mit dem Entwicklung, Produktion und gerechte Verteilung von COVID-19-Impfstoffen, Medikamenten und Tests international koordiniert werden, zeigt, dass öffentliche und private Akteure ihre Kräfte bündeln und erfolgreich gemeinsam an einem Strang ziehen können.
Dröge: In der Pandemie haben wir gesehen, dass es funktioniert, wenn Wissenschaft eine explizite Rolle in Debatten eingeräumt bekommt und diese stark mitkommuniziert wird. Umfragen zeigen, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen der Bundesregierung in der Pandemie unterstützt – und diese, das macht die Politik deutlich, basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Das ist für Klima und Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema, weil hier die Gruppe der Wissenschaftsskeptiker ungleich größer ist. Die Klimaforscher reklamieren zwar eine gesellschaftliche Rolle für sich, die wird aber von der Politik nicht entsprechend gestützt.
Das Interview führte Candida Splett von der Online-Redaktion der SWP.